02. Monsieur le Febre, eine Frau
Matuschek dachte gerade über den letzten Samstag nach,
er saß wieder im Taxi , die ganze Woche hatte er nichts mehr über
coalmine, Smilla und Co. gehört, da sah er ein älteres Paar vor
dem Taxi stehen und mit diversen Taschen hantieren. Steigste mal aus, dachte
Matuschek, und öffnest den Kofferraum:
"Kann ich ihnen helfen?"
"Guten Abend, Docteur le Febre aus Paris, können vous
uns bringen to le hotel."
"Äh, bon soir, Matuschek, quel Hotel?", mehr viel Matuschek
nicht ein.
"Oh bon, tu parlez francais?", fragte sehr erfreut M. le
Febre.
"Oh no, je nai pas parlez francais!", erwiderte heftig abwinkend
Matuschek,
"but tell me the name of the Hotel."
Monsieur le Febre und Gattin blätterten eifrig in einem
ca. fünfseitigen Manuskript, wohl der Ausdruck einer empfangenen eMail,
Matuschek packte schon mal die drei schwarzen Reisetaschen in den Kofferraum,
da lagen schon zwei und einiges mehr, wahrscheinlich zog die Tagschicht
mal wieder um, irgendwann kommt das noch mal zu einer Verwechslung.
"Le Hotel de Klinikum", sagte jetzt freundlich aber bestimmt
Madame le Febre.
Matuschek ist ja nun kein Profi, aber die paar Hotels in
Essen kannte er alle, er wusste auch, dass es in der großen weiten
Welt des Klinikums allesmögliche gab, aber kein Hotel.
"Let me see, äh, regarder", forderte Matuschek und
las neben einem Ausflugsprogramm auch eine Wegbeschreibung, ... dann nicht
die Hufelandstraße sondern die Virchowstraße, hinter der Brücke
dann rechts durch die Schranke, das neue, große, weiße Gebäude
mit Terrasse.
Virchowstraße, Brücke, das kannte Matuschek,
dort waren auch die Hörsäle, wo die legendären Mediziner Partys,
heute Events genannt, stattfinden.
"Isch denke nous allez erst zum Klinikum", schlug M. le
Febre vor.
"Bon", sagte Matuschek, dachte aber mit Schrecken an die
Auto Pförtnerloge des Klinikums, dort wurde zwar immer großzügig
die Schranke geöffnet, aber Auskunft bekam man da nicht. Erstmal machte
Matuschek einen auf Fremdenführer, wenn man schon mal Gäste aus
Paris hat, in Essen eher selten, dann noch so nette, beide bestimmt siebzig
Jahre alt, sie in Pelz, korpulent, eine richtige Matrone, er im Dreireiher,
distinguiert, dann stellt man das Aalto Theater und das Folkwang Museum
schon mal vor und schafft für die paar Minuten Fahrzeit eine angenehme
Atmosphäre.
Leider war die Fahrt schon bald zu Ende, trotz der sofort
geöffneten Schranke am Klinikum, stieg Matuschek aus, er hätte
ja auch nicht gewußt wohin er fahren sollte, und ging Richtung Pförtner
Loge, da, ein Geschenk des Himmels, ein kompetent aussehender Mann mittleren
Alters ging an der Loge vorbei, Matuschek sprach ihn, den Pförtner
ignorierend, direkt an. Leiter der Haustechnik, las er sofort die Beschreibung,
kannte auch Prof. Hansen, der morgen seinen Abschied gab und das Paar le
Febre wohl eingeladen hatte, kannte auch alle Gebäude des Klinik Areals,
aber kein "Le Hotel de Klinikum" und auch kein neues, großes, weißes
Gebäude mit Terrasse. Der Pförtner wurde angewiesen Prof. Hansens
Klinikanschluß anzurufen, nach fünf Minuten meldete er erfreut
das dort niemand abnahm, Matuschek hatte inzwischen in dem Manuskript die
Privat Nummer von Dr. Hansen entdeckt, nahm sein Handy und rief kurz entschlossen
an.
"Ich bin nur die Tochter, meine Eltern sind im Konzert,
wo weiß ich nicht, aber in einer halben Stunde müssten sie wieder
da sein.", sagte eine ca. zwanzigjährige weibliche Stimme. Matuschek
und der Leiter der Haustechnik übermittelten die Ergebnisse an die
le Febres und man kam zu Matuscheks großer Erleichterung überein,
dass die le Febres in der Pförtnerloge solange warten würden,
bis Prof. Hansen informiert sei, so war Matuschek, der Fahrgäste nie
einfach irgendwo stehen lässt, wieder frei.
An der Tankstelle, den Café gerade in der Hand, wurde
Matuschek gebeten eine junge Gastronomin zu lotsen, das machte er gern und
auf dem Rückweg schaute er noch mal am Klinikum vorbei, nur der Pförtner
saß noch da, die le Febres hatten wohl ihr Hotel gefunden, beruhigt
fuhr Matuschek in die Nacht.
"Konnte nicht schlafen, bin bei einer Freundin.", das war
die Nachricht in Smillas eMail vom letzten Sonntag, Matuschek überlegte
ob er sie mal anrufen oder ihr eine SMS schicken sollte.
"Schnell zum Bahnhof", eine junge Frau war eingestiegen.
Nun liegt der Bahnhof aber genau gegenüber dem Handelshof
und hier stand Matuschek, also zeigte er mit der Hand nach vorne,
"Laufen geht schneller."
"Nein, zur anderen Seite, zur Tankstelle."
Nun gut, Matuschek schaltete den Fahrpreisanzeiger ein und
fuhr los, zwei Minuten später stand er vor der Tankstelle und schaute,
den Finger auf dem Fahrpreisanzeiger, die junge Frau an.
"Warte, es geht noch weiter, kannst du mir drei kleine Jägermeister
und ein Päckchen Drum holen?"
Matuschek sah sie ungläubig an und entdeckte, durch
den Schal nunmehr nur unzureichend verdeckt, eine Nadel, mit einem kleinen
Schlauch und einem Adapter, in ihrem Hals, mit Heftpflaster auf der Haut
befestigt.
"Was ist das?"
"Eine Kanüle, ich bin gerade aus dem Klinikum abgehauen,
der Hansen will mich nicht zu meinem Kind lassen."
Eine Verrückte, dachte Matuschek, musst du jetzt ganz
vorsichtig sein.
"Also, Alkohol kauf ich dir auf jeden Fall nicht."
"Dann warte!"
Das tat Matuschek und überlegte, ob er vielleicht das
Klinikum oder die Polizei anrufen sollte, da kam sie aber auch schon zurück.
"Jetzt zur Roberta Straße."
Durch geschicktes Nachfragen erfuhr Matuschek, das die junge
Frau nach einem Nervenzusammenbruch ca. 36 Stunden im Klinikum gewesen war
und ein knapp zwei Jahre altes Kind hatte, das sich entweder in ihrer Wohnung
mit einer Sozialarbeiterin, oder bei dieser, oder in einem Kinder Krankenhaus
aufhielt, so ganz genau wußte sie es entweder selber nicht, oder konnte
es Matuschek nicht vermitteln, auf jeden Fall wurde das Kind aber, wohl
ein Mädchen, wie Matuschek heraushörte, versorgt. Durch die Kanüle
waren ihr Beruhigungsmittel verabreicht worden, angeblich litt sie unter
einer Deprivation (vulgo: Liebesentzug), der Kindesvater hatte sie vor zwei
Wochen verlassen, seitdem war sie krankgeschrieben, beruflich war sie im Grünflächenamt,
als Landespflegerin, zuständig für das Flächenbegleitgrün
an öffentlichen, städtischen Spielplätzen, beschäftigt.
"Dort an der Ecke kannst du halten",
sagte sie unvermittelt aber bestimmt. Matuschek hielt, kassierte,
schaute sie an,
"Und, alles klar, die Kanüle kann da doch nicht ewig
bleiben."
"Ne", und raus war sie, sie ging in die Straße zum
vierten Haus auf der linken Seite. Matuschek wartete noch bis sie im Hauseingang
verschwunden war, dieses Haus kannte er, er konnte sich nur nicht mehr erinnern
woher. Ob das wohl der Prof. Hansen ist, bei dem die junge Frau gerade
in Behandlung war? In Gedanken versunken wendete Matuschek und fuhr Richtung
Bahnhof Süd, da piepste das Handy.
"Hallo, weißt du wer mich gerade angerufen hat?"
Matuschek wußte nicht einmal wer ihn gerade anrief,
"Bin ich Jesus, ess ich Fisch? Wer ist denn da überhaupt?"
"Smilla, die Polizistin vom letzten Samstag hat mich gerade
angerufen, die haben einen Laptop gefunden, am Baldeney See, im Gebüsch,
noch funktionsfähig, aber alle Programme und Daten gelöscht, jetzt
wollen sie das Modell wissen."
"Toshiba irgendwas"
"Ah ja, so etwas hat sie, glaube ich, gesagt, Montag soll
ich auf die Wache kommen, dich rufen sie bestimmt auch noch an."
"Ne, du kennst coalmine ja viel besser als ich."
"Päh, sollen wir nicht zusammen gehen?"
"Kann ich nicht versprechen, um wieviel Uhr denn?"
"Neun"
"Das könnte klappen, ich bekomme einen Fahrgast, ich
melde mich gleich noch mal, tschüs."
Der junge Mann fuchtelte wild mit beiden Armen umher und
sprang Matuschek bald auf die Motorhaube, also hielt Matuschek an und ließ
ihn einsteigen. Wie sich herausstellte kam er gerade von einem Blind Date
im Bahnhof Süd, war, vorsichtig formuliert, nicht so toll, er war noch
sichtlich geschockt, hätte sich vielleicht vorher mal ein Photo mailen
lassen sollen, der Don Juan, auf jeden Fall war das Mädel wohl absolut
nicht sein Typ, so hatte er auf der Toilette einen Freund angerufen und
ihn gebeten ihn fünf Minuten später zurückzurufen, so hatte
er eine gute Ausrede, bezahlte nobel die Rechnung und verpisste sich nach
Hause, nach Düsseldorf, zu seiner Freundin, hatte es ganz eilig, wußte
jetzt wohl was er an ihr hatte und Matuschek hatte nach der Fahrt hundert
Mark mehr auf dem Ticker. Eigentlich war der Typ ganz nett, sie hatten sich
gut unterhalten, waren meistens auf einer Wellenlänge und so fuhr Matuschek
jetzt erstmal zur ARAL einen Café ziehen, eine Zigarette drehen und
Smilla anrufen.
Smilla war ganz nervös, war noch nie bei der Polizei,
geschweige denn bei einem Kommissariat gewesen, also plauderten sie noch
eine Weile und Matuschek versprach auf jeden Fall mit ihr zu gehen.
Nach dem Café und der Zigarette fuhr er wieder in
die Nacht hinaus und erlebte nicht mehr viel, machte aber sein Geld.
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